"Also, lass mich vorne beginnen. Sei mir nicht böse, wenn ich alten Lastern wieder Raum gebe und gegebenen Falles die Geschichte ein wenig strecke, mit einer Prise Flunkerei versehe und vortrage - das ist die Macht der Gewohnheit. Nun, wie ich Marius kennenlernte, weißt du?"
Auf Lorainnes Nicken fuhr Vanion fort. "Na, eines Tages bin ich bei der ganzen Umherzieherei mit ihm vor den Toren Ahrnburgs gelandet, am Abend nach einer Schlacht, wie wohl dort zu hören und auch zu sehen war. Man bestand darauf, dass wir, also er, kostenlos spielen solle, seine Kunst erklingen lassen solle für weniger als einen Kupfertaler, um die Herzen der kampesmüden Männer neu für den Krieg zu entflammen. Wenig froh waren die Leute nun darüber, dass er im Dienste der Lavinia stand, und so manchen Spruch musste er über sich ergehen lassen. Dennoch, er sang nicht vom Krieg und seinen blutigen Wundern, sondern vom Frieden und der rosigen Laune, die die warmen Hände eine Frau auf so manches Männerherz legen konnten. So manche Erinnerung ans Weib daheim ließ die ein oder andere Münze dann doch klingeln, was Marius mit einem wohlfeilen Zwinkern und einem wissenden Grinsen quittierte.
Nun - Marius war noch nie lammfromm. Er wusste immer, wie er ein ums andere Kupfer- oder Silberstück aus den Taschen der Leute hervorlocken und auf wundersame Weise in seine Hand bringen konnte. Er hatte damals schon viel Geld, ich hab ihn in stillen Momenten beobachtet, eine kleine Truhe voller Geld war sein steter Begleiter. Marius wusste immer genau, was er wann singen sollte, um sie zu füllen. Na, wie auch immer.
Dieser wohlfeile Sänger fühlte sich also berufen, im Dienste Lavinias dem Pilgerzug und der Rebellion beizustehen, mit Stimme und auch mit Heilkünsten magischer und handwerklicher Natur. Ich weiß tatsächlich nicht, ob er den Feuerschwur geleistet hat, aber das ändert nichts an seinen Taten. Er war lange Zeit aufrecht und standhaft, trotz seines Gelübdes, nie die Waffe gegen jemanden zu erheben, in vorderster Reihe bemüht, jeden noch so stark Verwundeten zu retten.
Doch ich glaube, dass ihn einiges verändert hat von dem, was er dort sah. Ganz so wie mich. Wir saßen immer seltener zusammen mit den Männern, immer seltener sang er von Fröhlichkeit und Leichtigkeit, immer öfter kamen schwermütige Balladen zum Vorschein. Irgendwann wurde er müde. Kriegsmüde. Er tat das, wozu er gekommen war, aber ohne Begeisterung. Er wünschte sich fern von diesem Ort, fern von Lavinia, fern von Engonien. Immer öfter sprach er, meist betrunken, davon, dass Lavinia ihn einschränke, ihm seine Freiheit nähme, er zweifelte gar an ihrer Hingabe und Liebe zu ihm und jedem anderen. Eines Tages nun lernte er nicht ganz so feine Herren kennen, in einer kleinen Spelunke in der Nähe von Fanada."
Vanion beschloss, dass es Zeit war, eine dramatische Pause einzulegen. Er wusste noch aus diesen Tagen, dass das Publikum einen Vortrag nicht verstand, einer langen Geschichte nicht zuhörte, irgendwann die Aufmerksamkeit sank. Doch mittendrin aufzuhören, dass fachte sie wieder an. Gespannt wartete er auf Lorainnes Reaktion.