Vanion erwiderte Lorainnes Blick. Es ging ihm durch Mark und Bein, so angeschaut zu werden. Lorainnes Blick war völlig offen, doch was darin lag, konnte der Knappe nicht sagen. Dankbarkeit, und Trauer - aber auch ein kleiner Funke, der ein großes Feuer zu entfachen drohte, schien es ihm. Er wusste nun so vieles über sie, mehr als zuvor. Natürlich hatte er Geschichten über Lorainnes Leben gehört, doch dabei zu sein, es zu erleben - das war etwas anderes. Als Lorainne sprach, stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht und verdrängte ein wenig die schweren Gedanken. Ja, wahrhaftig, dachte er voller Ironie. Folter, Entführung, der Tod deiner Schwester - all das ist nichts gegen das, was ich durchmachen musste. Du Sturkopf.
"Das hast du. Dein Körper ist durch die Hölle gegangen, und was mit deiner Seele geschehen ist - ich vermag es nicht zu erklären." Alleine deine Schwester! Und Marie.. Doch Vanion sprach es nicht aus. Er hatte alles berichtet, nun noch etwas zu wiederholen, würde nur Salz in den Wunden Lorainnes bedeuten. Unbeholfen und steif stand er von seinem Stuhl auf und wischte Lorainne mit seinen schwieligen, dicken Fingern eine Träne von der Wange. Dann ging er vor ihr in die Hocke. Leise, sanft sprach er:
"Was geschehen ist, kann dich immer noch zerstören." Fast hatte er Angst, dass Lorainne seine Hand wegschlagen würde. "Lass das nicht zu."
Du weißt, wie bitter und selbstmitleidig ich war, als die Sturmrufer starben. Und wie lange. Wenn du nur gesehen hättest, wie ich gut ich Maries Tod verkraftet habe!
Ohnehin, welchen Nutzen hatte Trauer in solchen Zeiten, fragte sich der Knappe. Die Toten sollte man ehren, und doch hatten sie diese Welt verlassen und sich in den Schoß der Mutter gegeben. Es gab schlimmere Schicksale.
"Dieses letzte Jahr - ich konnte nichts tun, ohne dich. Ich wollte dich nicht aufgeben, und ich konnte es auch nicht! Ich war kurz davor, als wir in den schwarzen Sümpfen Andarras nach dir suchten. Fehlschläge über Fehlschläge. Ich habe fast jeden meiner Freunde belogen, zu deinem Schutz. Wir haben alle geblutet, Boniface ist fast gestorben!" Der Kleine ist Fünfzehn, bei den Göttern! Lorainne hat Recht, wie konnte ich ihn mitnehmen?! "Und trotzdem - das war es Wert, dreimal Wert. Ich würde mein Leben für dich geben, wann immer du es benötigst. Dich zu finden, war meine Pflicht als Ritter. Dich zu retten, dir zu helfen, meine Pflicht als Freund." Nach wie vor sprach Vanion leise, doch die letzten Worte flüsterte er fast: "Pflichten, die ich gerne auferlegt bekommen habe. Für die ich mich entschieden habe."