Im Herbst des Jahres 257 nach Jeldrik
„Du hörst doch immer auf dein Bauchgefühl. Meinst du, du könntest auch auf mein Bauchgefühl hören?“
Mit diesen Worten hatte Sasha ihre Bitte angefangen. Nein, weniger eine Bitte als einen Entschluss.
„Ich weiß nicht was passieren wird, aber ich habe ein ganze dunkle Ahnung. Und ich habe das schlechte Gefühl, dass wir dich nicht mitnehmen dürfen, da du sonst vielleicht nicht mehr dieselbe bist wie vorher“
Balerian war einer Meinung mit der Wolfselfe gewesen. Und so hatte Mina keine Wahl gehabt als sich einen Abend vor dem Treffen in Graufelden von ihren Freunden zu trennen.
Es wäre wohl eine Nacht wie viele andere Nächte zuvor auch in dem kleinen Herbergszimmer, dass du bezogen hast, wenn sich deine Gedanken nicht ununterbrochen um deine Freunde drehen würden.
Deine Freunde, die vielleicht genau in diesem Augenblick den Kampf gegen Atos und seine untoten Truppen aufnehmen würden....von denen niemand so genau wusste wie groß ihre Zahl nun wirklich war.
Mit einem tiefen Seufzen kuschelst du dich tiefer unter die Decken und beobachtest den Mond, der durch das halb geöffnete Fenster in deine Kammer scheint.
Dein Lager ist warm und weich und doch wälzt du dich noch lange unruhig hin und her in der absoluten Überzeugung, dass du in dieser Nacht kein Auge zu bekommen würdest.
Und doch scheint dich der Schlaf irgendwann übermannt zu haben...denn du träumst.
Du träumst von einem Raum mit hellen Wänden, ein seltsam diffuser Nebel hängt in der Luft und verschleiert die Sicht. Die Nebelschwaden ziehen ohne die Andeutung eines Windes an dir vorbei. Du siehst ein paar Möbel...ein Tisch und Bänke... keinerlei Fenster, die einen Blick nach draußen erlauben würden.
Linker Hand in etwa zehn Schritt Entfernung ist der Nebel besonders dicht. Eine undurchdringliche wabernde Mauer, hinter der menschengroße Schemen zu erkennen sind. Sie bewegen sich unstet, leise...als verschlucke der Nebel jegliches Geräusch.
Du kneifst die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. Und da bemerkst du die Aura.
Eine stinkende und faulige Aura, eine Aura von Tod und Verwesung. Sie ist überall, dringt dir in Nase und Mund und lässt dich für einen kurzen Moment würgen, bevor du die Kontrolle über deinen Körper wieder erlangen kannst.
Atos....alles roch nach ihm...fühlte sich nach ihm an. Überall um dich herum.
Es ist als wäre hier in deinem Traum alles offener und irgendwie direkter. Deine Schutzhütte scheint hier nicht zu existieren....genau sowenig wie der Keller.
Du hast das Gefühl, diese Aura mit deinen bloßen Händen berühren zu können.
Und es ist kalt. So kalt, dass dein Atem vor dem Mund zu kleinen Wölkchen gefriert.
Eine Kälte, die dir in die Knochen zu kriechen scheint....unnatürlich kalt.
Du schlingst die Arme um deinen Oberkörper um dich warm zu halten, doch bevor du dich dem eisigen Schauer, der deine Wirbelsäule entlang kriecht, hingeben kannst, ertönt ein Schrei und lässt dich aufschrecken.
Ein Schmerzenzschrei.
Die Verzweiflung, die darin mitschwingt, vertreibt die Kälte schlagartig aus deinen Gliedern. Oder vielleicht wird sie auch nur egal....du kannst es nicht genau sagen.
Dein Herz schlägt schneller.
Diese Stimme, selbst verzerrt durch Schmerz und Qual, kommt dir sehr bekannt vor....zu bekannt.
Du fährst herum, den Mund zu einem Schrei geöffnet, doch nur ein Flüstern verlässt deine Kehle.
Keine fünf Schritte von dir entfernt stehen zwei große Gestalten. Zuerst kannst du sie gar nicht richtig fassen...als wäre da nichts, keine Gefühle oder Leben, nur schwarze Löcher.
Dann erkennst du jedoch schemenhaft dunkle Plattenrüstungen. Die Gesichter sind hinter Helmen verborgen, doch du bist dir sicher, dass du in ihnen nur leere Augenhöhlen finden würdest.
Genauso leer und tot wie ihre Auren. Todesritter.
Sie halten eine Gestalt fest, die zwischen ihnen kniet. Ihre Kleidung mag wohl einmal hell gewesen sein, doch jetzt ist sie blutgetränkt und zerfetzt.
Der Körper bedeckt von blutenden Wunden und schwärzlich verfärbten Verbrennungen, wie von extremer Kälte.
Die blonden Haare sind rötlich von getrocknetem Blut, die Spitzen ihrer elfischen Ohren abgeschnitten..
Sasha.
Die Wolfselfe hält den Blick ihrer raubtierhaften Augen auf eine weitere Gestalt geheftet, die vor ihr steht, einen elegant geschwungenen Dolch in der Hand, von dem frisches Blut langsam auf den Boden tropft.
Die Gestalt ist blond, schlank und trägt ein blau-weißes Gewand. Deutlich sind die spitzen Ohren zwischen den halblangen Haaren zu erkennen.
Und während die Auren der beiden gepanzerten Gestalten sich eher anfühlen wie gähnende schwarze Abgründe, so ist die Aura dieser Elfe anders. In ihrem inneren glimmt ein Licht, dass jedoch von rankenähnlichen Gebilden, die sich um ihren Körper und gleichzeitig um ihre Seele winden, fast gänzlich verdeckt wird. Die Ranken zeigen alle Farben, die du dir vorstellen kannst und gleichzeitig keine einzige.
Immer wenn du versuchst sie genauer zu betrachten verschwimmen sie vor deinen Augen und wechseln die Form.
Die Gebilde fühlen sich nach Atos an...sie SIND Atos. Und sie scheinen die helle und irgendwie hilflose Aura der Elfe zu durchdringen und sie immer mehr zu zerquetschen.
Im Hintergrund siehst du vier weitere Todesritter stehen, völlig bewegungslos, als wären es nur Rüstungen ohne einen Träger.
Die blonde Elfe tritt wieder auf Sasha zu, packt ihre Haare mit der linken Hand und hält sie fest, dreht den Dolch für einen Augenblick in ihrer Hand, den Kopf leicht schief gelegt, als würde sie überlegen.
Dann stößt sie zu, rammt der Wolfselfe das blanke Metall bis zum Heft in die Eingeweide, dreht ihn mit einem Ruck in der Wunde herum und reißt ihn wieder heraus.
Mit einem erstickten Schmerzlaut sackt Sasha in sich zusammen.
Helles Blut spritzt auf den Boden, hätte die Elfe getroffen, wenn diese nicht rasch einen Schritt nach hinten gemacht hätte.
Die Todesritter lassen die Wolfselfe los, sie krümmt sich auf dem unwirklichen Boden.
Nein! Sasha!
Du willst zu ihr, ihr helfen, irgendetwas tun!
Doch du kannst dich nicht von der Stelle bewegen, bist wie festgewurzelt. Egal wie sehr du dich anstrengst, du kannst dich keinen Millimeter bewegen, und immer noch verlässt kein Laut deine Kehle.
Das einzige was dir bleibt ist hilflos mit anzusehen, wie das Leben aus dem Paladin sickert. Langsam und stetig. Wie ihre Aura schwächer wird, ebenso wie ihre Bewegungen.
Die Elfe lacht leise. Ein kalter, unwirklicher Laut, es wirkt als würde dieser Laut nicht von ihr ausgehen...als würde jemand anders lachen. Sie betrachtet Sasha mit einem interessierten und abschätzenden Blick, wie eine Beobachterin bei einem Experiment.
Dann lässt sie sich neben der sterbenden Wolfselfe auf einem Knie nieder, berührt sie leicht am Kopf.
Ein paar gemurmelte Worte in einer fremden Sprache, ein blaues Leuchten.
Und Sasha keucht auf, hustet. Der Blutstrom versiegt gänzlich.
Was...? Warum...?
Einer der Todesritter zieht Sasha in eine knieende Position. Die Wunde hat sich fast völlig geschlossen, nur noch eine wütend rote Narbe beweist, dass sie einmal da gewesen war.
„Sie ist eine sehr gute Heilmagierin.“
Dieser Satz regt sich irgendwo in deinem Hinterkopf.
Heiler.
Magier.
Elfe.
Und dann diese Kälte.
Ninim...!
Deine Eingeweide verkrampfen sich zu einem kleinen Knoten, als dir klar wird, was das bedeutet.
Die Frostelfe ist tatsächlich in der Gewalt des Lichs. Und nicht nur das, er bedient sich auch ihrer Fähigkeiten, und das erschreckend erfolgreich.
Rötliche frische Narben von gerade erst verheilten Wunden auf dem Körper der Wolfselfe sprechen Bände...wahrscheinlich wurde sie schon seit Stunden von Ninim gefoltert und immer wieder geheilt.
Als du gerade anfängst zu allen dir bekannten Göttern und Naturgewalten zu sprechen um herauszufinden, was dieser Traum wohl bedeutet, da ändert sich die Szenerie schlagartig.
Der Kopf der Elfe...Ninim....ruckt herum, sie starrt an dir vorbei in den dichten Nebel mit den herumwandernden Schemen.
Ein Auge ist hell, eines schwarz.
Ein kurzes schneidendes Wort von ihr und die beiden Todesritter treten vor, lassen Sasha zurück, die ebenfalls unverwandt den Nebel fixiert.
Auch die vier im Hintergrund verharrenden gepanzerten Untoten treten vor, sie bewegen sich in völligem Gleichklang.
Du drehst dich um und schaust mit zusammen gekniffenen Augen in den Nebel, in den Bewegung gekommen ist. Die wabernden Schlieren werden zerfetzt, die darin herumwandernden Schemen streben alle zu einem Punkt in der Mitte.
Und dann ganz plötzlich, mit einem gewaltigen Stoß, fegt dich eine Aura von den Beinen, rasend vor Wut und Feuer, einem flammenden Sturm gleich.
Du findest dich auf den Knien wieder, als einer der Schemen, nun deutlich als Untoter erkennbar, mit seltsam verdrehter Wirbelsäule aus dem Nebel geflogen kommt und mit einem klatschenden Geräusch vor dir auf dem Boden landet, kleine Nebelfetzen hinter sich herziehend.
Und dahinter, mit seinem Kriegshammer Verwüstung unter den Untoten sähend, der Tormentor-Priester Maugrim.
Eine Welle von Erleichterung durchfährt dich wie eine wärmende Woge. Du bist dir nicht sicher, ob das deine eigenen Gefühle sind oder die von Sasha, aber das ist dir auch egal.
Du badest in dem Gefühl, lässt dich von ihm erfüllen.
Ninim wendet sich Maugrim zu, auf einen kurzen Wink von ihr treten die vier Todesritter an ihre Seite und erstarren direkt wieder.
„Sie an, sieh an... das hätte ich nun nicht erwartet.“
Sie lächelt ein kaltes Lächeln, welches ihre Augen nicht erreicht.
„Nun gut, dann sei es so.“
Du beobachtest Maugrim. Die Masse an Untoten hat ihm scheinbar schon ziemlich zugesetzt, sein Atem geht schnell und er nutzt die kurze Pause um wieder etwas zu Kräften zu kommen. Sein Blick wandert zu Sasha, die entkräftet auf dem Boden kniet...und eine tief in ihm sitzende Wut regt sich, die dich erschaudern lässt.
Dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig.
Eine tiefe Stimme, die von überall her zu kommen scheint, ertönt, füllt für einen Moment deinen Geist aus und lässt einen faden Geschmack zurück.
„Dann töte sie eben beide. Jetzt.“
Ninim hebt den Arm und gibt den Todesrittern mit einer kurzen Handbewegung den Befehl zum Angriff.
Und Maugrim zieht sich rasch einen Anhänger vom Hals, den er Ninim in einer schnellen Bewegung zuwirft.
Die Frostelfe fängt den Anhänger in einer reflexartigen Bewegung auf und betrachtet ihn. Und für einen kurzen Augenblick scheinen die Ranken, die sich um ihren Körper winden zu erstarren, scheint ihre lichte elfische Aura darunter heller zu werden und die Ranken zu überstrahlen.
Das musste Ninims Rudelfläschchen sein.
Mit großen Augen starrt sie auf den kleinen Gegenstand in ihrer Hand und in diesem Augenblick bist du dir sicher, die richtige Ninim zu sehen.
Die Ninim, die ihren Freunden beisteht und sie heilt, die immer für andere da ist. Die zum Rudel gehört.
Einige der Ranken erzittern und lösen sich in durchsichtigen Schwaden auf.
Doch der Rest zieht sich nur umso enger um die Frostelfe.
Und dann ist der Augenblick so schnell wieder vorbei, wie die sechs Todesritter für einen ersten Angriff brauchen.
Sie umkreisen den Kriegspriester und dringen erbarmungslos auf ihn ein, Kampfmaschinen ohne die leiseste Rücksicht auf eigene Verluste.
Der Kampf ist schnell und brachial.
Wuchtige Waffen treffen auf metallene Rüstungen, die sich kreischend verbiegen, der Boden wird aufgewühlt.
Über den Kampflärm hinweg ertönen Maugrims Gebete an Tormentor.
Er nutzt alle Fähigkeiten, die er sich im Laufe seiner Jahre als Priester einer Kriegsgottheit und als Mitglied der Valkensteiner Armee angeeignet hat, um die Angreifer auf Distanz zu halten.
Doch sie sind in einer deutlichen Überzahl....und sie haben jetzt gerade nur einen einzigen Zweck: Ihn zu töten.
Gebannt starrst du auf den hin und her wogenden Kampf. Für einen kurzen Moment sieht es tatsächlich so aus, als hätte Maugrim eine Chance, doch er wird zusehends langsamer.
Zwei der unbeseelten Kreaturen in ihren Rüstungen liegen schon zerschlagen auf dem zerwühlten Boden, als einem der Todesritter ein direkter Treffer gelingt, der Maugrim aus dem Takt bringt. Weitere Treffer folgen, lassen ihn immer mehr straucheln.
Dann ein schneller Schlag, gezielt auf seinen Waffenarm. Der Kriegshammer fällt mit einem lauten Poltern zu Boden.
Die Frostelfe lacht hell auf, die Todesritter erstarren, wenden ihr ihre behelmten Köpfe zu.
Aus mehreren schweren Wunden blutend sackt der Kriegspriester auf die Knie, sein Atem geht rasselnd, der Blick ist voller Verzweiflung auf seine Seelenschwester gerichtet, die seinen Blick erwidert.
Ninim steht neben ihr, eine Hand in ihren Haaren, den blutigen Dolch an die Kehle der Wolfselfe gedrückt.
Die Szene scheint tausend Herzschläge zu dauern, sie hat dich völlig in ihrem Bann.
Du bemerkst kaum, wie sich deine Fingernägel in den lockeren Boden krallen, als du versuchst, dich irgendwo festzuhalten, mit offenem Mund erwartest du den finalen Befehl.
Doch stattdessen fängt Maugrim abermals an zu beten.
Seine vormals so verzweifelte und wütende Aura wird von fester Entschlossenheit abgelöst. Als hätte er eine Entscheidung getroffen. Eine entgültige...
Er betet zu Destrutep.
Seine tiefe Stimme ist fest und unerschütterlich, als er den kriegerischen Herrn des Feuers anruft.
Sashas verzweifelter Aufschrei geht fast in seinem Gebet unter. Als wüsste sie was er vor hatte....als wüsste sie was passieren würde.
Ninim runzelt die Stirn und beobachtet den Priester interessiert, die Todesritter warten immer noch auf ihren Befehl.
Dein Blick wird wie von selbst zurück auf den Tormentor-Priester gezogen, der mittlerweile wieder auf beiden Beinen steht.
Keine Spur von Kontrollverlust, geleitet wird er nur von seinem eisernen Willen.
Es kommt dir vor, als würde er von innen heraus leuchten, als würde ein Feuer in ihm brennen, dass die Kälte von diesem Ort, die Kälte aus deinen Gliedern vertreibt.
Doch das angenehme Gefühl bleibt nicht lange bestehen, die Temperatur steigt stetig an bis du das Gefühl hast, du siehst nicht mehr Maugrim vor dir, sondern nur noch loderndes Feuer.
Die Zeit hast du schon völlig vergessen, sie ist belanglos geworden. Du könntest Sekunden da knien oder Jahre....es ist dir gleichgültig.
Dann erreicht Maugrim mit immer lauter werdender Stimme den Höhepunkt des Gebetes...
...und die Welt um dich herum wird in ein Meer aus Flammen getaucht.
Das aufbrandende Feuer ist überall, rauscht tosend und fauchend durch den Raum um alles zu verzehren.
Du verbrennst....und bleibst doch unversehrt. Du schreist...sind das wirklich deine eigenen Schreie?
Schmerzen, Verzweiflung, Wut.... und Entschlossenheit.
Dann wird es dunkel.
Du weißt nicht wie viel Zeit vergangen ist, bis du die Augen wieder öffnest, doch das ist immer noch gleichgültig.
Es ist still.
Das Feuer ist vergangen, nur noch glimmende Stellen und die verbrannte Einrichtung zeugen von der zerstörerischen Kraft, die hier eben noch gewütet hat.
Der Geruch von verbrannten Materialien liegt in der Luft. Und von verbranntem Fleisch.
Von den Todesrittern ist nicht viel mehr übrig als mehrere Häufchen Asche und einige Rüstungsteile.
Ninim kniet mit völlig fassungslosem Gesichtsausdruck neben Sasha in einem fast schon völlig weggeschmolzenen Kreis aus Eis, die Hände noch immer zur Abwehr erhoben.
Die letzten Fetzen der Ranken, die sich um ihren Körper und ihre Seele gewickelt haben, lösen sich mit einem Knisten auf bis auch die letzten Reste verschwunden sind.
Weggebrannt.
Und die leuchtende Aura bahnt sich langsam ihren Weg an die Oberfläche.
Beide Elfen sind von den Flammen völlig unberührt geblieben.
Mit einem dumpfen Geräusch bricht Maugrim auf dem Boden zusammen.
„Nein! Maugrim!“
Die Stimme der Wolfselfe ist heiser vom vielen Schreien, erstaunlich schnell ist sie bei ihm, lässt sich neben dem Kriegspriester auf die Knie fallen.
Plötzlich kommt es dir so vor als wärst du sie, als würdest du Maugrim mit ihren wölfischen Augen sehen.
Für einen Augenblick bist du Sasha.
Angst, Verzweiflung, Panik....
Große Teile seines Körpers sind verbrannt. Doch am schlimmsten sind die inneren Verletzungen. Es ist als wäre das Feuer aus ihm herausgebrochen, hätte seine Organe als erstes versehrt und zerstört. Der Atem des Kriegspriesters geht mühsam, als er dich mit seinem einen noch intakten Auge fixiert.
Einsicht, Verstehen...
Mit einer unerschütterlichen Erkenntnis, die sich schmerzhaft in deine Eingeweide gräbt, wird dir klar, dass Maugrim sich selbst geopfert hat.
Um die Beherrschung, die auf Ninim lag, zu brechen.
Um dich zu retten.
Das Feuer hatte dir nichts anhaben können. Maugrim hatte seine letzten Kräfte dazu genutzt, dich und Ninim davor zu schützen anstatt sich selbst. Die Eiswand der Frostelfe hatte ihr übriges getan.
Du möchtest ihn anschreien, dass er hier bleiben muss. Ihn anflehen, dass er dich nicht alleine lassen soll.
Verständnis, Akzeptanz...
Doch kein Ton kommt aus deiner Kehle. Denn es ist seine Entscheidung gewesen.
Ein schwaches Lächeln erscheint auf seinem halb verbrannten Gesicht.
Als wäre er nur noch hier, um zu sehen, dass du überlebt hast und in Sicherheit bist.
Und ein letztes Mal spürst du die Berührung seiner Seele, als er alle Schilde, die das Feuer überstanden haben, auf dich überträgt.
Um dich noch ein letztes Mal zu schützen.
Vor dem Unvermeidlichen.
Ein letzter rasselnder Atemzug, eine letzte Bewegung.
Dann stirbt Maugrim.
Der Todesschock, der die Wolfselfe über das Seelenband überflutet, der an ihr zerrt um sie mit in die Dunkelheit zu reißen, nur gelindert durch den Schutz, den Maugrim auf sie übertragen hat, katapultiert dich wieder in deinen eigenen Körper zurück.
Zu deinem Glück...
Sashas Körper verkrampft sich, sie stößt ein hohes Jaulen aus, das sich anhört, als würde man einen Hund treten. Dann bricht sie neben Maugrim zusammen.
Dir bleibt nur fassungslos auf das eben geschehene zu starren, eine unwirkliche Leere in deinem Inneren.
Scheinbar weinst du, denn nur undeutlich erkennst du durch einen Schleier aus Tränen wie der Nebel abermals zerreißt und eine größere Gruppe von Leuten mit panischen Rufen in den Raum flutet. Deine Freunde.
Alles ist unwirklich, passiert wie in Zeitlupe... du hörst Rufe, siehst Heiler, die sich sofort ans Werk machen, die Rufe werden panischer, die Bewegungen der Leute hektischer.
Dann ein hoher Klagelaut, wie nicht von dieser Welt.
Jelena.
Und du erwachst.
Schreckst schweißgebadet auf deinem Lager auf, das Herz droht dir aus der Brust zu springen und nur mühsam bekommst du deine überschnappende Atmung in den Griff.
Mit zitternden Händen ziehst du fahrig die Bettdecke glatt, nur um eine vertraute Bewegung zu machen.
Und du wartest auf das Gefühl der Erleichterung, wie es einen nach einem bösen Traum überkommt, wenn man aus ihm erwacht ist und merkt, dass das Erlebte gar nicht wahr ist.
Doch so sehr du es dir wünschst....dieses Gefühl stellt sich nicht ein.
Und mit einer schmerzhaft deutlichen Erkenntnis wird dir klar:
Das war kein Traum.