"Hast du das? Ich bezweifle zwar, dass ich es wert bin in deinen Träumen rumzugeistern, aber mach du mal!"
Jelena schürte noch einmal das Feuer und stellte Gerhardt einen frischen Becher Tee hin, bevor sie ihm eine gute Nacht wünschte und in ihrem eigenen Bett verschwand.
Die folgenden Tage waren fast schon unnatürlich ruhig für den Soldaten, wobei "Ruhe" im Kontor ein sehr relativer Begriff war. Da er bald schon aufstehen und zumindest ein paar Schritte laufen konnte, wurde er kurzerhand in das Gästebett im ersten Stock umquartiert und völlig selbstverständlich in den Alltag der bunt zusammengewürfelten Familie miteinbezogen.
Gerhardts Zimmer befand sich direkt neben dem von Luthor und Alvias und so bekam er jeden Morgen mit wenn Anica sachte an die Tür klopfte. Ein völlig verschlafener Luthor stolperte die Treppe hinunter und kam kurz darauf mit einer Schale Tee wieder herauf, bevor er an Jelenas Tür klopfte. Während die Heilerin sich fertig machte, weckte Luthor die anderen und alle gemeinsam gingen zur morgendlichen Meditation. Bei der vorherrschenden Kälte fand diese in der gut beheizten Küche statt, denn sogar der Heuschober war zu kalt geworden.
Es gab kein gemeinsames Frühstück, statt dessen hing ein Kessel mit Brei über dem Feuer und auf dem Tisch stand Brot und Butter. Die Lehrlinge, Wassilji, Anica, die Mägde und Knechte kamen zu unterschiedlichen Zeiten herein und stärkten sich für den Tag.
Bald wurden die Tore des Kontors geöffnet und ab da war es vorbei mit der Ruhe. Fuhrwerke kamen und gingen, brachten Ladung oder nahmen neue auf. Den ganzen Tag über war ein Stimmengewirr und das Wiehern von Pferden zu hören. Kranke klopften an die Tür und der Unterricht der Lehrlinge nahm manchmal epische Ausmaße an, wenn Jelena zum Beispiel der Meinung war ihnen etwas begreiflich machen zu müssen, dann konnte es schon einmal sein, dass sie im Innenhof ein Schlachtfeld simulierte oder aber sie von Wassilji einmal durchs Viertel hetzen ließ.
Wenn es langsam Abend wurde zog Jelena sich mit Markus, dem Prokuristen, in die Schreibstube zurück und ging mit ihm das Tagesgeschäft durch, während der Rest die Zeit vor dem Abendessen nutzte um seine persönlichen Dinge zu erledigen oder einfach nur die Füße hoch zu legen.
Das Abendessen wurde immer gemeinsam eingenommen. Jelena dankte Milosti für ihren Segen und Anica für die Zubereitung und dann wurde herzhaft zugelangt. Es war selten das Jelena selbst Zeit fand zu kochen, aber sie und Anica schienen ein eingespieltes Team zu sein und die Tafel in diesem Haus war stets reich gedeckt.
Das Feuer in der Küche brannte Tag und Nacht, denn man wusste nie, wann ein Kranker an die Tür klopfen würde und es passierte mehr als einmal, das Jelena mitten in der Nacht fortgeholt wurde oder sich vom gerade erst begonnenen Essen wieder erhob.
Es waren entspannte und kurzweilige Tage, an denen Gerhardt viel über Jelena und die Menschen um sie herum lernte:
Sie war definitiv kein Morgenmensch und hasste es zu frühstücken, sie war sehr großzügig zu ihren Bediensteten, verlangte aber auch großen Fleiß und Genauigkeit. Sie war ziemlich stolz, konnte aber auch über sich selber lachen.
Und sie hatte aufgehört zu singen.