"Offenheit?! Das nennst du offen? Wieviel wissen diese Leute? Wer ist dein Meister?"
Wütend fuhr Vanion Wassilij an. Er war von dem Tisch, an den er sich das Gespräch über gelehnt hatte, aufgesprungen und hatte dabei Anders angerempelt, die recht nah bei ihm gestanden hatte. Das bemerkte der Knappe jedoch gar nicht.
"Du bist auf Freunde angewiesen und spuckst auf deren Geheimnisse! Ich hatte dein Wort, Stillschweigen zu bewahren, und doch hast du deine, deine.. deine was auch immer eingeweiht! Und du verlangst von mir, dir alles zu erzählen und ganz nebenbei alles, was du mir sagst, für dich zu behalten? Hast du zuviel getrunken?!"
Mühsam zügelte Vanion sich. Er war zornig, und er hatte über das letzte Jahr kaum Gelegenheit gehabt, seinen tief sitzenden Zorn über die Ungerechtigkeit der Ereignisse, die unter anderem ihm widerfahren waren, zum Ausdruck zu bringen. Als er sah, dass Wassilij zum Sprechen anhob, kam er ihm zuvor.
"Nein, mein Freund." Er betonte das Wort und zog es unangenehm in die Länge. "Ich durfte mir schon im Forêt d'Artroux von Kassos anhören, was für ein Risiko du seist! Was meinst du, warum er wollte, dass du an seiner Schule unterrichtest?! Weil er dich im Auge behalten will! Gorix und Balerian haben mir davon abgeraten, dir zu vertrauen, doch hab ich mich gefreut als wär mein seliger Großvater aus seinem Grab gestiegen, als ich dich in diesem dreifach verfluchten Wald vor den Kultisten fliehen sah! Du hast viele Worte verloren, über Lorainne, über dich, über Simon, die Götter wissen, über wen noch! Was geht es deine seltsamen Freunde oder Lehrer an, was mit Lorainne geschieht? Es hat einen Grund, dass wir nicht an jede Tür klopfen und nach Neuigkeiten fragen! Es hat einen Grund, weshalb Damian mir fast das Gesicht zu Brei geschlagen hat, als ich ihm sagte, dass Lorainne tot ist! Du kannst nicht in caldrische Ehrenhändeln mit mysteriösen Attentätern eingreifen! Du kannst nicht, mögen die Götter verhüten, dass es tatsächlich so sei, dass Roquefort mit dem Täuscher im Bunde steht, einen Zwist mit dem Täuscher durch eben das verhüten - durch Täuschung, Verstecken und dergleichen mehr! Ich weiß, dass du Roquefort liebend gern ein stilles Messer zwischen die Rippen jagen willst, doch es hat Gründe, weshalb Simon und auch ich dagegen sind! Lorainnes Zustand erlaubt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Roquefort doch nicht gewonnen haben könnte - denn genau das glaubt er doch! Natürlich, der Söldnertrupp, der den Wald betrat, lebt noch - na und?! Es gibt keine Beweise für eine Schuld von irgendjemandem an irgendetwas! Es gibt bloß Menschen, die Schutz brauchen, Menschen, die noch nicht aus dem Schatten getreten sind, um für ihre Familie einzustehen! Die Mühlen drehen sich vielleicht langsam, Wassilij, aber sie drehen sich! Und jedes Lebewesen, dass von diesen Mühlen überhaupt erfährt, ist ein potenzieller Stein in dieser Mühle!"
Mit einem wütenden Schnauben drehte Vanion sich zu Anders um. Er hoffte nur, ihr nicht allzusehr wehgetan zu haben, als er sie beiseite gestoßen hatte. Bei den Göttern, Wassilij! Ich hätte eher erwartet, dass du mir ein Messer in den Rücken stößt und 'Heil Szivar' dabei brüllst, als dass du so etwas ..Dummes! tust. Kurz überlegte er, dann traf er eine Entscheidung.
"Wir reiten morgen los, Anders. Nach Blanchefleur. Und danach reiten wir zu Kassos' Burg. Ich muss dort jemanden besuchen."