Ruhig überlegte der Knappe, wie er seinen Standpunkt am Besten deutlich machen konnte. Er wog Stellas und Ysanders Argumente sorgfältig ab, der junge Mann wusste nur allzu gut, dass er sich schnell hinreißen ließ.
"Gehen wir davon aus, dass Roquefort nicht hinter all diesen unseligen Ereignissen steht. Dann wäre es nur gut und richtig, seine Tochter zu ihm zurückzubringen. Da stimmt ihr mir doch zu, nicht wahr?"
Eine wirkliche Antwort wartete Vanion nicht ab.
"Welchen Beweis haben wir für Roqueforts Schuld? Keinen. Tatsächlich haben wir Indizien, und die deuten dermaßen offensichtlich auf ihn, dass er entweder ein Vollidiot ist - oder ihm jemand etwas in die Schuhe schieben möchte. Bevor Roquefort mit Feuer und Schwert verfolgt wird, müssen wir wissen, ob er nun überhaupt schuldig ist. Und solange wir das nicht wissen, halten wir ein Kind von seinem Vater fern."
Angestrengt versuchte Vanion nun, geeignete Worte für seine Gedanken zu finden:
"Die Frage, die ihr stellt, oder die ich zumindest mir selbst stelle, lautet natürlich: 'Warum nicht einfach abwarten?' Warum nicht den Status Quo aufrecht erhalten, bis geklärt ist, ob Savaric nun ein guter Mensch ist, oder nicht? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Es wäre nur logisch, abzuwarten, das ist wahr. Richtig wäre es jedoch nicht. Roquefort liebt seine Tochter, seine Tochter liebt ihren Vater. Wir fügen beiden Schmerzen zu, Roquefort noch mehr als der Tochter. Sie ist zwei, drei Jahre alt - alt genug, Verlust spüren zu können, und doch noch jung genug, davon abgelenkt werden zu können. Wer sagt uns, dass Roquefort nicht nach uns, nach Lorainne, gesucht hat und vielleicht noch sucht, weil er seine Tochter finden möchte? Wir haben selber einiges in Bewegung gesetzt, um Lorainne zu finden, und haben getötet. Was, glaubt ihr, würde ein Vater für seine Tochter tun?"
Vanion gab den Anderen etwas Zeit, über seine Worte nachzudenken, während er ein wenig Feuerholz nachlegte.
"Nun bin ich nicht naiv." Er grinste. Vielleicht ein wenig naiv. "Es ist ein verlockender Gedanke, dass Roquefort unschuldig ist, aber ich weiß selbst, dass sich meine Theorie sehr wacklig anhört. Also zurück zum Anfang: nehmen wir an, Roquefort ist ein böser Mensch, im Bunde mit Dienern des Täuschers, und er steht kurz davor, durch unsere Hand zu sterben. Nun - dann ist seine Tochter seine Erbin. Ich habe nie etwas von anderen Kindern Roqueforts gehört. Niemand wird Hand an sie legen, wenn Roquefort fällt. Natürlich wird sie um ihren Vater weinen, aber wenn sie alt genug ist, wird sie es verstehen. Oder uns hassen, wer weiß das schon - dennoch hat sie ein Recht auf ihr Erbe, ein Recht auf ihre Familiengeschichte. Und bleiben wir auf dem Boden: ein behütetes Aufwachsen in einem Laviniakloster hat etwas für sich, ja - aber wenn Roqueforts Schuld wirklich bewiesen werden wird, dann wird wahrscheinlich nicht nur er bestraft, sondern sein gesamtes Haus. Und wenn ein caldrisches Adelshaus in Bedeutungslosigkeit versinkt, dann ist es für die Damen nicht unüblich, ein klösterliches Leben zu beginnen. Oder ein anderes Leben, was auch immer. Wenn Roquefort stirbt, dann soll seine Tochter es wissen. Sie soll nicht ohne Vater, oder gar in einer Lüge aufwachsen."
Vanion legte einen weiteren Holzscheit ins Feuer.
"In beiden Fällen wäre es richtig, die Kleine zurückzubringen. Es wäre ehrlich und aufrecht."