Es war klar. Immer wieder stieß Vanion auf Punkte, die er nicht bedacht hatte. Er erbat sich kurz etwas Zeit, um nachzudenken, und ging ein paar Schritte vom Feuer weg.
Was wollte Lorainne überhaupt mit der Kleinen? Sie hat zu keinem Zeitpunkt so gewirkt, als wäre sie unglücklich, oder nur unter Zwang bei ihr.
In Gedanken versunken, versuchte der Knappe sich zu erinnern, was genau Lorainne alles erzählt hatte - und das war nicht viel.
Roqueforts Männer haben nach mir gesucht. Lorainne meinte dazu schwammig, weil er mich in die Hände bekommen wollte, um Druck auf sie ausüben zu können. Ich dachte immer, als eine Art Ausgleich zum Verlust seiner Tochter - was, wenn es darum gar nicht geht? Dazu kam, dass Stella und Ysander mit einer Sache ganz klar Recht hatten, und das hatte er nicht bedacht: er würde höchstwahrscheinlich gegen Lorainnes erklärten Willen, gegen den Willen seiner Rittermutter, handeln.
Nur - wie nun entscheiden? Im Stillen verfluchte Vanion Roquefort und auch Lorainne. Für einen Moment stürzte alles auf ihn ein, und fast verlor er geistig den Halt. Nimm dich zusammen! Du bist das letzte Jahr voller Selbstmitleid gewesen. Jetzt denk nach! Tief atmete er ein. Die Entscheidung, Roqueforts Tochter zurückzubringen, hatte er nach sorgfältigen Überlegungen gefasst. Aber konnte er überhaupt alle Argumente kennen? Hatte es nicht gute Gründe, dass Lorainne ihm nicht alles gesagt hatte? Gewiss wusste sie doch, was sie tat.
Würde sie ein Kind entführen, um Rache zu nehmen? Doch dann fiel es Vanion wie Schuppen von den Augen. Lorainne wollte nicht Rache nehmen - jedenfalls noch nicht! Ihre Prioritäten waren es gewesen, die Unschuld ihres Vaters zu beweisen, nicht, Roquefort zu töten! Ein völlig anderes Bild ging langsam vor Vanions innerem Auge auf. Er hatte es sich nie eingestanden, doch hatte er Lorainne im Stillen Vorwürfe gemacht. Wie konnte sie ein unschuldiges Kind entführen? Doch er schien sich, wieder einmal, getäuscht zu haben.
Nun, Ritter zu werden, bedeutet auch, Demut zu erlernen, nicht wahr? Dennoch schmeckte sein Versagen bitter. Wieder einmal.
Der Knappe entfernte sich noch weiter vom Feuer, er genoss die Kühle, die Stille des Waldes. In den Büschen raschelte ein Marder, ein scheues Reh ließ sich im Mondschein blicken. Moos duftete in der Luft, der Geruch mischte sich mit dem angenehmen, für Nadelbäume so charakteristischen Hauch, der in der Luft lag.
Noch einmal atmete der Knappe tief durch, dann straffte er die Schultern.
Er machte sich gar keine Mühe, leise zu sein, als er zurück zum Feuer stapfte. Man sollte ihn ruhig hören. Als er in den Lichtschein trat, sah er direkt in die fragenden Gesichter der Anwesenden. Anders musterte er eingehender, ihre Reaktion auf Ysanders Worte war ihm nicht verborgen geblieben.
"Machen wir's kurz. Ihr habt Recht."