Zweifelnd warf Vanion einen Blick in die Runde. Sie saßen mittlerweile um einen langen Holztisch, Rugier hatte das Essen aufgetragen. Als er Vanion einen Teller angeboten hatte, hatte dieser abgewunken und nach verdünntem Wein gefragt. Bedächtig schwenkte er nun seinen Becher und sah in die wirbelnde, hellrote Flüssigkeit.
"Wollt Ihr Eure Tochter wirklich nach Bourvis schicken?"
Rasch sah er zu Stella, aber sie schien noch damit beschäftigt zu sein, ihre Gedanken zu ordnen. Schließlich hatte Jules sie nach dem genauen Ablauf gefragt. Auch Ysander wirkte in sich gekehrt.
"Wenn wir, was noch nicht einmal fest steht, dieses Ritual durchführen, dann darf Roquefort auf keinen Fall davon erfahren. Eine Brauerei lebt vom Handel, also werden dort Kaufleute, Bauern, Boten ein und ausgehen. Wenn wir das Glück haben, dass im Vorfeld niemand davon erfährt, so müssen wir doch damit rechnen, dass der Erfolg oder Misserfolg sofort bekannt werden wird. Es ist naiv, anzunehmen, dass solch ein Vorhaben unbemerkt bleiben wird. Gerüchte verbreiten sich schneller als ein Waldbrand im Sommer, schneller noch als Läuse in Bettlerhaar."
Ernst sah der Knappe Jules an.
"Euch muss bewusst sein, dass wir Lorainne nicht nur durch das Ritual an sich, sondern auch dadurch, dass an dem Ort des Rituals andere Menschen leben, in Gefahr bringen. Das muss ich Euch nicht sagen, das wisst Ihr! Sollte Roquefort Wind davon bekommen, dass Eure Tochter lebt, und sollte er tatsächlich der ehrlose Bastard und Szivarspaktierer sein, für den wir ihn halten - dann wird er nicht davor zurückschrecken, das ganze Kloster niederzubrennen. Wenn Lorainnes Seele geheilt wird, dann seid auch Ihr in Gefahr. Roquefort wird sich fragen, wer diese grünen Männer sind, wer der 'Grüne Ritter' ist. Vielleicht fragt er sich das auch schon heute."
Vanion achtete genau auf das Gesicht seines Gegenübers. Mal wirkte Jules verärgert, dann wieder nachdenklich, und oft auch nur besorgt um seine Tochter.
"Ihr seid hier nicht mehr sicher. Das Desinteresse Roqueforts hat Euch und die Euren geschützt, und auch Eure äußerst bemerkenswerten Fähigkeiten. Doch.. verzeiht mir meine Vermessenheit - wenn Lorainne wieder spricht, und fühlt, und liebt - so ist auch für Euch die Zeit gekommen, die Maskerade fallen zu lassen. Der Krieg ist vorbei! Lorainne hat immer und immer wieder ihre Treue zum Königshaus bewiesen, und wenn sie Roquefort beschuldigt, für ihre Entführung verantwortlich zu sein, so steht das Wort eines Ritters gegen das Wort Roqueforts! Simon de Bourvis wird ihren Worten Gewicht verleihen, die Hohepriester Damian und Kassos werden für sie einstehen! Es ist Zeit für La Follye, aufzustehen und zurück zu verlangen, was gestohlen wurde. Zeit, die Distel blühen zu lassen!"