"Manche Äcker muss man salzen. Wenn der Boden so voll von Unkraut und kranker Saat ist, so salzt man ihn und lässt den Regen alle Spuren fortwaschen." Härte sprach aus Vanions Worten, stählerne Härte. "Tränen sind salzig."
Voller Bitterkeit spuckte er die wenigen Worte aus. Vielleicht war es wirklich besser, Anders fortzuschicken. Weit fort. Doch was, wenn ihre Familie sie fand? Was, wenn Savaric sie ausfindig machte? Er trug nun eine Verantwortung für Anders, und nicht nur er - Lorainne trug eine. Lorainne hatte wegen Silas, wegen diesem verfluchten Geheimnistuer, alles auf's Spiel gesetzt, und mit welchem Recht? Wilde Wut flammte in ihm auf, und er trat plötzlich einen dicken Ast in die Glut. Das Feuer zischte, und ein Stück glühendes Holz, das auf seinem Bein landete, und ein plötzlicher Schmerz in seiner Hüfte brachten ihn zur Besinnung. Sie würde dasselbe für dich tun, du dummer Esel! Darum hat sie das getan! Aus Liebe!
Ruhiger wandte er sich Anders zu und sah ihr direkt in die Augen. "Weißt du, ich habe immer Heldengeschichten geliebt. Ich wollte immer welche hören!" Er schmunzelte. "Nur zuhause, am Kaminfeuer, wenn man keine Sorgen hat und auch kein Schwert, dann hört sich alles immer so leicht an. Der hehre Ritter tötet den Unhold, und dann heiratet er die Prinzessin und ist dereinst König im Land der Märchen. Oder er opfert sein Leben für die Seinen, und dereinst trocknen alle Tränen und er speist mit den Göttern. Immer, wenn ich eine solche Geschichte gehört hatte, wollte ich selbst ein Held sein. Den Schwachen helfen, ja, Gutes tun, ja, aber vor allem wollte ich, dass irgendwann eine Mutter zu ihrem Sohn sagt: 'Und nun erzähle ich dir die Geschichte von Vanion, dem größten und tapfersten Ritter, den Engonien je gesehen hat'."
Ein Lächeln und auch ein Schatten huschten über sein Gesicht.
"Nun, zu solchen Geschichten wird es wohl niemals kommen. Ich mag ein Ritter werden und eines Tages von Lorainne den Schlag erhalten, der nie gesühnt wird - aber meine Ideale hab ich aufgegeben. Der Täuscher verdirbt Freund und Feind, das weiß ich nun. Ich habe getötet, oft und ohne Zögern. Solche Taten vergeben die Götter nicht. Jede Heldengeschichte ist von Menschen gemacht, und Menschen sind schwach. Eine Heldentat ist es, wenn eine Mutter ihr Kind zur Welt bringt. Eine Heldentat ist es, wenn aus Ziegelsteinen und Holz ein Haus entsteht, das Wärme, Licht und Schutz bietet! Doch einen Mann zu erschlagen, ist keine Heldentat. Das ist allein die Furcht, zu sterben. Warum sonst führt man das Schwert besser als der andere? Weil man, wenn man verliert, stirbt. Helden haben Blut an den Händen, jeder einzige."
Die ganze Zeit hielt Vanion den Blick direkt auf Anders' Augen gerichtet.
"Savaric muss sterben, und es wird keine Heldentat sein. Niemand wird darüber singen. Ein krankes Tier zu töten verdient keine Geschichte. Er mag mein Onkel sein, doch ich hab ihn nie gekannt!"
Vanions Stimme wurde lauter, hysterischer, doch hielt er sich im Zaum.
"Was macht einen Mann denn zum Onkel, was hält eine Familie zusammen?! Doch wohl nicht die Geburt, oder? Dann wäre ich kein Knappe, wenn's nur darum ginge, wer mit wem nachts zugange ist! Meine Familie waren Tangaraner, und sie sind es noch! Meine Schwestern sind Tangaraner, meine Mutter und auch - mein Vater." Barak - wohl eher Baraque, verflucht! - war in Caldrien geboren, doch hatte er sich nicht für ein Leben als Bauer in Tangara entschieden?
"Darum geht es - Entscheidungen! Du hast dich dafür entschieden, zu bleiben, wir haben uns entschieden, dir zu vertrauen! Wir haben uns immer wieder füreinander entschieden! Meine wirkliche Familie ist Lorainne! Lorainne de la Follye des Joux ist meine Familie, und Anders, der Kender, und Jeanne, meine Tochter! Savaric gehört nicht zu meiner Familie, das hat dieses Ungeheuer nie getan! Bei den Göttern, er ist hässlich wie die Nacht und verschlagen, als sei der Täuscher selbst auf Erden! Nein, nein, nein!"