Am späten Abend der darauf folgenden Nacht gab es Unruhe unter den Torwachen. Man hatte einen Reiter gesehen, der auf die Burg zuhielt. Rasch jedoch war klar - es war die Gardistin Julienne, die da im Dunkeln herangeritten kam. Das Tor wurde geöffnet und die Heimkehrerin freundlich begrüßt.
"Bei den Göttärn, Julienne! Warum bist du nischt in einem Gast'aus untärgekommön?!?", meinte einer der Männer kopfschüttelnd.
Doch die Gardistin schüttelte nur müde den Kopf. Selbst ihre Stute - die stets unruhige Hexe - schien erschöpft. Reiterin und Pferd waren Schlammbespritzt - ein Zeichen dafür, dass sie, trotz schlechter Wegstrecke, ordentlich Stoff gegeben haben mussten.
"Gibt es etwas Neuös aus Riche de Chêne?", fragte ein anderer, von dem eine entfernte Verwandte auf dem Gut lebte.
"Jetzt lasst meinö Schwestär doch erst mal ankommön!", sprach eine Stimme und aus der Dunkelheit schälte sich eine kurzgewachsene, schwarzhaarige Gestalt - Juliennes ältester Bruder, Ciel.
"Mon frére! Es ist gut disch zu se'ön!", sagte die Gardistin und schwang sich steif aus dem Sattel. Sie führte Hexe in den Stall, wo sie sich zunächst um das Pferd kümmerte. "'arter Ritt?", erkundigte sich Ciel, während er ihr Zaum, Decke und Sattel abnahm.
"Oui. Isch bin erst gegön Mittag losgekommän.", antwortete seine Schwester kurzsilbig. Der kleine Gardist nickte und hing die Sachen über einen Sattelbock, der in der Stallgasse stand. Dann reichte er auf ihre Anweisungen Eimer und Schwamm, damit sie Hexe vom Schlamm befreien konnte. Schließlich ließ sie sich einen Lappen geben, mit dem sie das Pferd trockenrieb.
Julienne schlüpfte aus dem Verschlag, brachte das Sattelzeug fort und kam mit einer großen, leichten Decke zurück, mit der sie ihre Stute bedeckte. Das Tier war so müde, dass es nicht einmal den üblichen Versuch unternahm, den Stoff von seinem Rücken zu ziehen.
Die Gardistin gab Hexe noch einen Scheffel voll Futter, frisches Heu und einen Eimer voll Wasser, bevor sie mit ihrem Bruder den Stall verließ.
Draußen stießen sie fast mit Nesrine zusammen, die gerade in den Stall eilen wollte. "Julienne!", rief die schwarzhaarige Frau aus, bevor sie den zwei Köpfe kleineren Ciel gewahrte und sich zusammenriss. Doch Julienne war zu müde für jegliche Vorsicht. Sie nahm Nesrine in die Arme, legte ihren Kopf an die Schulter der anderen Frau und seufzte tief.
"Es ist gut, wiedär 'ier zu sein!"
Ciel zwinkerte Nesrine zu und wünschte unbefangen eine gute Nacht. Dann ging er davon.
"Komm, mon coeur, du musst ins Bett.", stellte die Gardistin fest. "Gibt es noch etwas, das getan werdön muss?", fragte sie Julienne.
Diese wies auf die Satteltaschen am Stalleingang. "Där Schinkön... in die Küsche. Und där Brief... und mein Berischt...", antwortete diese erschöpft.
"Jetzt schlafen ohne'in allö! Das 'at Zeit bis morgön!", entschied Nesrine. Sie nahm die Satteltaschen auf und führte Julienne in die Quartiere. Dort ignorierte sie mögliche Blicke und half der anderen Gardistin beim Entkleiden und deckte sie schließlich fest zu.
"Schlaf jetzt.", sagte sie leise und strich Julienne liebevoll über das Haar. Dann begab sie sich selbst zu ihrem Quartier, froh, ihre Liebste wieder gesund zuhause zu wissen.