Kadegar seufzt leicht und holt dann einige Seiten aus seiner Tasche.
"Das wir nicht ein Thema nach dem anderen Abwickeln können, aber nagut. Zunächst meine Entschuldigung an diejenigen, denen ich von dem Schreiben noch nichts erzählt habe, weil mir die Zeit fehlte. Jedenfalls ist das hier ein Tagebuch von Damian über seine.. Reise nach Voranenburg. Da ich nach dem Abend der Schlacht keine weiteren Einträge bekommen habe und nun diese Botschaft angekommen ist, gehe ich davon aus, dass es keine weiteren Einträge geben wird."
Kadegar durchblättert kurz die Seiten.
"Ich lese es am besten vor, also gut, kann was dauern, ist etwas mehr:
2. Tag des 3. Monats, im Jahre 260 n.J.
Ich habe mich entschieden, ein Tagebuch zu schreiben, zumindest für diese Reise. Ich mache dies, damit andere vielleicht erfahren, was geschieht, wenn ich versuche, meinen Schwur an Simon einzulösen. Ich bin Flamen Solis Alamariani Damian aus Voranenburg und mein Vater ist der Graf von Voranenburg, treuer Vasall des Herzogs von Hanekamp und im Moment auf Seiten des verfluchten Barad Konars und dessen Lupus Umbra-Schergen. Ich beabsichtige, das zu ändern.
Um das zu tun, muss ich aber zu seiner Burg kommen, ohne von den Schwarzblauen erwischt zu werden. Daher habe ich Kadegar und Lyra gebeten, mich nach Tiefensee zu begleiten. Von dort aus kann ich alte Pfade nehmen, die ich noch aus meiner Jugendzeit kenne und komme dann ungesehen zu meiner Heimat. In die Burg werde ich wohl reingelassen, aber dann? Ich hoffe, dass meinem Vater die Informationen über den Mord am hanekampschen Erben reichen. Ich hoffe, dass er mir glaubt.
Leider bin ich selber in einer denkbar schlechten emotionalen Lage, um so ein Unterfangen zu starten. Ich hatte gehofft, mit Lavinias Segen nach Voranenburg zu reisen, das hoffnungsspendende Bild einer geliebten Person vor meinen Augen. Doch Lavinia, Schwester meines Herrn Alamar, hat mich verlassen. Ich habe einen guten Freund verletzt, mich selber beinahe zerschlagen lassen, nur um um ihre Hand zu bitten und sie hat abgelehnt. Ich hoffe, dass ich mich in den kommenden Tagen soweit beruhigt habe, dass ich mit den Anfeindungen am Hofe meines Vaters zurechtkomme. Aber wehe jedem schwarzblauem Soldaten, der mir über den Weg läuft.
29. Tag des 3. Monats, im Jahre 260 n.J.
Heute sind wir in Tiefensee angekommen. Während Kadegar seine Truppen zusammensammelt und sich auf den langen Marsch nach Brega macht, habe ich die Gelegenheit genutzt, noch einmal in mich zu gehen. An diesem uralten, gesegnetem Ort kann man sich wunderbar konzentrieren. Ich muss meine Gedanken sammeln, denn Konar wird sicher keine dummen Jungen an den Hof meines Vaters gesandt haben. Selbst wenn ich Gehör finde, so muss ich mich trotzdem im Streitgespräch mich ihnen stellen.
Was also weiss ich? Was habe ich von wem erfahren? Wie sicher kann ich mir dieser Sachen sein?
Ich habe von Tannjew erfahren, unter Alamars Auge, dass er Augenzeuge dabei war, wie Atorn von Hanekamp von einem Tiorsnovizen Konars umgebracht wurde. Und dass Konar davon wusste und statt der Wahrheit eine Lüge über mörderische Nekaner erzählt hat. Diese Geschichte wird gestützt durch Schriftstücke, die von einem verstorbenen Diener Konars stammen. Und von Leachim, der wohl den Menschen Konar, wie er vor seiner Wiedergeburt war, kannte. Doch kann ich mir all dessen sicher sein? Der Augenzeuge ist in der Gefangenschaft des Herzogs, die Schriftstücke in Fanada. Und Leachim ebenfalls nicht verfügbar. Also bleibt nur mein Wort über die Unterhaltung mit Tannjew, ein Mann, der angeblich seinen Vater getötet hat, eine Geschichte, die in Konarstreuen Gegenden immer noch erzählt wird. Ob das genug sein wird?
Was kann ich noch bringen? Was könnte ihn überzeugen? Wird er akzeptieren, dass er Simon und damit dem Widerstand etwas schuldet, weil diese seinen Sohn wieder ins Leben zurückgeholt haben? Mit dieser Tatsache ist noch etwas Zweites verbunden: Konar ist nicht der einzige Mensch seit Jeldrik, der von den Toten zurückgekehrt ist. Was also ist sein Anspruch auf die Kaiserswürde wert?
Es läuft letztlich auf Eines hinaus: Wird mein Wort als Alamarpriester und Sohn genug sein, um meinen Vater zu überzeugen? Ich hoffe ja. Ich bete zu Alamar und seinen Brüdern und Schwestern, dass es genug sein wird.
30. Tag des 3. Monats, im Jahre 260 n.J.
Ich werde in wenigen Minuten aufbrechen. Ich habe mich kurz mit Kadegar unterhalten und mit seiner Hilfe eine Möglichkeit gefunden, diese Berichte weiterzuschreiben, auch wenn ich bereits in der Burg bin. Während ich diese Zeilen schreibe, marschieren bereits Truppen aus Tiefensee, um vor Brega zu kämpfen und ein alter Jäger, den ich noch kenne, wartet ungeduldig darauf, dass wir losmarschieren. Er kennt einige Schleichwege, die schwergerüstete Lupus Umbra sicher nicht nehmen werden.
3. Tag des 4. Monats, im Jahre 260 n.J.
Nach einigen Tagen anstrengender Reise haben wir es geschafft. Auf Kadegars Spezialpapier schreibe ich diese Zeilen und sehe, wie sie langsam verblassen und hoffentlich bei ihm ankommen. Leonard wird mich nachher verlassen, aber hier kenne ich mich aus. Und hier sind auch keine reinen Patrouillen des Lupus Umbra mehr unterwegs, die Gardisten meines Vaters werden mich sicher erkennen und zu ihm bringen. Hoffentlich.
6. Tag des 4. Monats, im Jahre 260 n.J.
Ich hoffe, Kadegar und wer auch immer ihn begleitet, hat sich nicht zu sehr gesorgt. Ja, die Gardisten haben mich nicht getötet. Aber ihre Lupus Umbra-Begleiter hätten es beinahe getan. Zum Glück hat man mir meine Sachen gelassen, nachdem ich versprochen habe, nicht zu flüchten, ehe mein Vater über mich gerichtet hat. Deswegen kann ich nun wieder schreiben. Meine kleine Schwester Agnes war heute morgen hier. Offensichtlich ist die ganze Familie gerade in der Burg, sogar Irmgard mit ihrem Mann, einem Offizier und Ritter in Konars Diensten. Das wird ja ein lustiges Zusammentreffen.
Ich höre gerade meine Mutter mit der Wache diskutieren!
Meine Mutter war da. Mein Vater hat verkündet, dass er übermorgen mit mir reden will. Aber er wird morgen abend vorbeikommen und will erst privat mit mir reden. Sie hat geweint. Offensichtlich hat dieser schleimige Bastard von einem Schwager bereits verkündet, dass der 'Kaiser' meinen Kopf will und jeder kaisertreue Bürger dem nachkommt. Dieser Bursche soll sich in Acht nehmen. Ich habe immer noch einiges an Kampfeslust in mir.
8. Tag des 4. Monats, im Jahre 260 n.J.
Das erste Treffen vor dem versammelten Hof lief nicht gut. Viel zu viele Lupus Umbra und mein Vater hat offensichtlich Drohungen erhalten. Anders kann ich mir sein verkniffenes Gesicht nicht erklären. Am Abend vorher war er zwar kurz angebunden, so hatte er mich ja auch jahrelang nicht gesehen, aber er schien meinen Argumenten gegenüber zuträglich zu sein. Ich konnte meine Anschuldigungen nicht vorbringen, sondern musste mich gegen eine Reihe von Anklagen selber wehren. Haltlos und nicht zutreffend, aber zum Teil sehr verletzend. Besonders getroffen hat mich der Teil, wo mir vorgeworfen wird, ich hätte Simons Knappin geschändet. Offensichtlich sah man aber meine Wut, denn mein Vater beeilte sich sehr, danach die Audienz zu beenden.
9. Tag des 4. Monats, im Jahre 260 n.J.
Es wird interessant. Mein Bruder Rutger, Erbe meines Vaters, war eben hier. Offensichtlich hat mein Schwager sich laut gefragt, warum mein Vater noch nicht meine Hinrichtung beschlossen hat. Mein Vater hat daraufhin einen Tobsuchtsanfall bekommen und ihn ob seiner Unverschämtheit mitsamt aller Lupus Umbra der Burg verwiesen. Ich hoffe nur, er bereut es nicht.
Alamar hat mir ein Wunder geschenkt, anders kann ich es nicht ausdrücken. Mein Vater gab heute abend noch ein Bankett. Vorgeblich, um eine Entschuldigung auszusprechen, darum waren die Offiziere des Lupus Umbra eingeladen. Aber gleichzeitig hatte man mir ein Bad und gereinigte Kleidung zur Verfügung gestellt und der alte Flamen meines Vaters hat mich gebeten, mit ihm zusammen den Segen über das Bankett zu sprechen. Danach saß ich dann an dem Platz, der mir als Grafensohn gebührt, näher an meinem Vater als mein vermaldeiter Schwager. Merkwürdigerweise fehlte mein Bruder Gerlach.
Die Stimmung war dementsprechend eisig. Nach dem Bankett verkündete mein Vater, dass morgen die nächste Anhörung stattfindet. Natürlich würde er dafür wieder den Lupus Umbra einladen.
10. Tag des 4. Monats, im Jahre 260 n.J.
Ich habe Angst um meine Familie. Ich habe heute nacht gesehen, wie mein Bruder einen grossen Trupp Waffenmänner in die Burg führte. Meine Schwestern und meine Mutter sind krank, sagte mir der Wachmann, sie haben sich ins Turmgemach zurückgezogen. Wenn ich gleich die grosse Halle betrete, werde ich, so bin ich mir fast sicher, meine Brüder und meinen Vater in Rüstung sehen. Ich habe eben um Alamars Segen gebetet. In meiner Hand halte ich die Gebetsrollen für Alamars Feuer. Und in der anderen Hand mein Gebetsbuch und Rollen für eine Heilung in Alamars Namen. Ich rechne mit dem Schlimmsten. Ich weiss nicht, ob ich den heutigen Tag überlebe. Meine Gedanken sind bei Alamar. Und bei einer jungen Frau. Für Alamar und Jeldrik!"
Kadegar räuspert sich nocheinmal.
"Das war alles, was er mir geschrieben hat."