Lorainne schüttelte den Kopf, so als wollte sie einige Gedanken verscheuchen.
"WIr haben aufeinander achtgegeben." Sie lächelte Isabeau an:"Ihr wisst selbst, dass Firngarder aus einem etwas anderem Holz geschnitzt sind, als jene in Ahrnburg oder Donnerheim."
Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst und es fiel ihr seltsamer Weise leicht, über die vergangenen Erlebnisse zu berichten:"Seitdem wir Ahrnburg verlassen haben, haben wir sehr viel Schlimmes erlebt. Viele Dinge jagen mir immer noch schauer über den Rücken oder bereiten mir Alpträume. Für mich ist es etwas Neues, aber für euren Cousin nicht und für viele andere Krieger auch nicht, und doch haben sie meist diesselben Ängste wie ich. Es war eine schlimme Zeit, wir haben viele Menschen verloren, die uns nahe standen. Der Tod der Sturmrufer zum Beispiel ist an sich nicht dramatisch. Im Krieg sterben Menschen. Mir macht zu schaffen, dass sie unter einem Bann standen und wir nicht vermochten, sie davon zu erlösen und gegen sie kämpfen mussten. Sie starben durch unsere Hand. Ebenso wie Richard, aber sie alles waren tapfer und... wer weiß, vielleicht musste es sein."
Sie ergriff zum ersten Mal Isabeaus hände und sprach beruhigend auf sie ein:"Ich habe um sie alle getrauert, und wenn ich an sie alle denke, dann bin ich melancholisch und wehmütig. Aber mein Platz ist hier, bei Simon, bei Euch, beim Pilgerzug. Es ist schwer, die Traurigkeit zu bekämpfen, aber ich werde viel trauriger sein, wenn ich wieder von hier fort und Euch verlassen muss. Für die Sturmrufer oder Richard kann ich nichts mehr tun, nur ihr Andenken bewahren. Aber immer, wenn ich von hier fortgehen, weiss ich nicht, wann ich Euch das nächste Mal wiedersehen werde, oder ob Ihr wohlauf seid. Das ist manchmal viel schwieriger zu ertragen, als der Tod von Freunden."
LOorainne seufzte nachdenklich, doch dann lächelte sie ihrer Ziehmutter beruhigend zu:"Solange es aber einen Ort gibt, an den ich immer wieder zurückkehren kann und vor allem, einen Ort, zu dem ich so gerne zurückkehre, wie hierher, wird Simon und mir bestimmt nichts passieren!"
Sie wies Isabeau den bequemen Sessel und trat zurück, damit sie endlich den Brief lesen konnte. Sie goss ein wenig noch warmen gewürzten Wein in ein Glas und stellte es leise neben sie, dann zog sie sich in den hinteren Winkel des Zimmers zurück, um Isabeau so ein wenig ungestörtheit zu gönnen.
Lorainne kannte den Inhalt des Briefes, immerhin hatte sie ihn für Simon geschrieben:
la benediction de Lavina sur toi,
Ma chere Cousine,
Es wird Dich freuen zu hören, dass wir den Schrecken in Tiefensee heil überstanden haben.
Nicht ganz so heil sind andere davon gekommen, wie Du sicher schon aus Deinen üblichen Quellen wissen wirst.
Bevor wir weiter nach Engonia ziehen, habe ich noch einiges in der Heimat zu erledigen. Der Graf erwartet einige Nachrichten, die ich ihm lieber selbst überbringe.
Auch mit Dir hätte ich einiges zu bereden, doch muss das warten.
Gib auf meine Knappin acht, ich habe sie bewusst zu dir geschickt, ist es zu Hause noch viel zu gefährlich für sie, sich dort blicken zu lassen. Außerdem wird ihr der Besuch bei Dir gut tun, vermag doch niemand Menschen wieder soviel Fröhlichkeit und Unbeschwertheit einzuhauchen, als Du. C'est trop fort pour moi.
Gerne hätte ich Dich auch besucht, um mich zu vergewissern, dass es Dir wieder besser geht, aber Lorainne wird mir sicher berichten.
Lavinia möge Dich schützen!
Je t'embrasse,
Simon