"Eine schöne Geschichte. Vielleicht steckt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit dahinter." Nachdenklich entfernte sich Vanion ein paar Schritte von den anderen. Lorainnes Verhalten war der Grund dafür. In letzter Zeit benahm sie sich seltsam. Seit Benjen wieder da war, um genau zu sein.
Sie versuchte kramphaft, ihn vor jeder Bedrohung zu schützen, folgte ihm sogar, als es hieß, dass drei, vier Räuber im Wald seien - und Benjen mit den Äxten loszog, um diese zu finden. Sie genoss sichtlich die Zeit mit ihm, doch auf der anderen Seite schien sie ihn immer noch fortzustoßen.
So vieles hatte sich verändert. Vanion hatte Lorainne gerettet, doch sie rannte immer und immer wieder kopfüber in Gefahr. Er verfluchte seine Position als Knappe. Er musste zurückstehen, immer und immer wieder. Er konnte sie nicht aufhalten, es stand ihm nicht zu. Demut war eine harte Tugend, und er hatte mehr und mehr das Gefühl, Lorainne nicht mehr greifen zu können. Als sie in Bourvis endlich auferstanden war, da war Vanion klargeworden, dass er Lorainne im Grunde nicht kannte. Woher auch? Im Pilgerzug mochten sie Seite an Seite gekämpft haben, aber er war Knecht, Fußsoldat gewesen, während sie als Simons Ecuyière gedient hatte. Dann ein knappes Jahr in ihren Diensten, und dann die Zeit mit Jacques. Jacques, der vor wenigen Wochen gestorben war, von den Männern Savarics abgestochen. Und dann? Lorainne war verschwunden, fort, entführt. Die letzten Jahre hatten ihn und Lorainne aneinander gebunden. Leid und Tod hatten ein stärkeres Band geschmiedet, als der Pilgerzug es hatte tun können.
Und doch - er war ein Roquefort. Er, dem Lorainne ihr Leben anvertrauen würde, ein Roquefort. War es verwunderlich, dass sie Benjen so sehr beschützen wollte? Ein Kender und ein Roquefort, was für eine Familie war das für jemanden, der auf La Follye, in der caldrischen Gesellschaft, aufgewachsen war? Für jemanden, der unter Simon de Bourvis zum Ritter geschlagen worden war? Benjen war ihr Halt, ein vertrautes Gesicht, ein Stück Heimat. Wirkliche, wahrhaftige Familie. Dieser Gedanke brachte Vanion zum Lächeln. Es freute ihn, dass Lorainne jemanden gefunden hatte, der hoffentlich Balsam für ihre Seele sein würde. Jemand, der an ihrer Seite die Distel wieder zum Blühen bringen konnte.